Arbitrierung von kooperativer Bewegung in hochautomatisierten Mensch-Maschine-Systemen

  Frau führt Mann über den Markt durch Ziehen der Hand beim Händchenhalten Urheberrecht: © IAW
 

Steckbrief

Eckdaten

Laufzeit:
01.01.2015 bis 31.12.2019
Forschungsbereich:
Kooperative Mensch-Maschine-Systeme
Status:
Abgeschlossen

Kontakt

Name

Frank Flemisch

Leitung Lehr- und Forschungsgebiet Systemergonomie

Telefon

work
+49 241 80 99435

E-Mail

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Kurzbeschreibung

Was verbindet das Händchenhalten von Pärchen auf dem Aachener Weihnachtsmarkt mit dem Kampf eines Menschen mit einer Fahrzeugautomation oder mit dem Herausziehen eines USB-Sticks aus einem Computer? In allen drei Fällen geht es um eine Verhandlung (Arbitrierung) zwischen zwei Parteien mit dem Ziel einer (hoffentlich) gemeinsamen Handlung, z. B. einer Bewegung. Im DFG-Projekt „Arbitrierung kooperativer Bewegung“ wurden genau diese Verhandlungsvorgänge erforscht, indem in der natürlichen Welt beobacht(bar)e Muster auf Mensch-Maschine-Systeme übertragen und in einer Simulation aufgebaut und untersucht wurden.

 

Herausforderungen

Bewegung ist eine wichtige Fähigkeit vieler Lebewesen, insbesondere die des Menschen. Diese Fähigkeit beinhaltet nicht nur einen physikalischen Anteil, sondern ist immer auch mit Denkleistungen verbunden, insbesondere, wenn sich Lebewesen, z. B. bei der Jagd, konkurrierend und/oder kooperativ bewegen. Das Vereinen unterschiedlicher Bewegungsabsichten mittels Abgleich bzw. Arbitrierung ist dabei ein wesentlicher Baustein für eine kooperative Bewegung.

Im Bereich der kooperativen Bewegungsführung zwischen Mensch und Maschine, z. B. zwischen Pilot und Flugautomation, ist besonders das Zusammenspiel zwischen Automation und Mensch bei unterschiedlichen Bewegungsabsichten stehen zueinander in Verbindung und sind anfällig für Fehler. So kam es durch unzureichende „Verhandlung“ zwischen Mensch und Automation bereits zu einer Reihe von Flug- und Fahrunfällen. Eine Übertragung des Automationsgedankens in andere Domänen wie die Führung von Kraftfahrzeugen oder kooperativer Roboter ist nur dann erfolgversprechend, wenn die Lektionen aus vergangenen Unfällen durch gezielte Forschung berücksichtigt werden.

 

Zielsetzung

 
  Arbitrierung Absicht Mensch Automation, Beschreibung s. Herausforderungen Urheberrecht: © IAW Modellansatz für das Vereinen von Bewegungsabsichten von Mensch und Automation, angewendet auf kooperative Bewegungsführung im Kraftfahrzeug- bzw. Flugverkehr  

In vorangegangenen DFG-Projekten (z. B. „H-Mode“ und „Conduct-by-Wire“) wurde in Zusammenarbeit mit universitären Partnerinnen und Partnern die Ausarbeitung eines Katalogs realisiert, der anhand zahlreicher beispielhafter Phänomene die Kooperativität in der Bewegung abbildet. Im Projekt „Arbitrierung von kooperativer Bewegung in hochautomatisierten Mensch-Maschine-Systemen“ wurde darauf aufbauend zunächst eine systematische Erschließung und Verallgemeinerung dieser Phänomene als kooperative Bewegungsführung für alle Bewegungsformen fokussiert.

Damit Bewegung kooperativ erfolgen kann, braucht es ausreichende Fähigkeiten zur Bewegung, eine ausreichend hohe äußere Kompatibilität, z. B. über die Mensch-Maschine-Schnittstelle, sowie auch eine ausreichend hohe innere Kompatibilität, z. B. über gemeinsame Ziele und Modellvorstellungen. Weitere wichtige Phänomene der Dynamik der Kooperation sind Transitionen im Assistenz- und Automationsgrad, eine gute Balance aus Stabilität und Adaptierbarkeit sowie die im Projekt adressierte Frage der Arbitrierung ausgehend von unterschiedlichen Vorstellungen. Eine andere Meinung und das damit verbundene Konfliktpotential ist der Preis für intelligente Partnerinnen und Partner. Die Einbindung des Menschen in derartige kooperative Arbitrierungsprozesse über klare, robuste und domänenübergreifende Arbitrierungsmuster war eine wesentliche Zielrichtung dieses Projekts.

Vorgehen

Basierend auf Feldexplorationen und Recherchen wurde ein prototypischer Use-Case-Katalog aufgebaut, der sich an bereits existierenden Systemen orientiert. Als Grundlage für die Arbitrierung in Mensch-Maschine-Systemen wurden in einer Feldstudie implizite haptische Verhandlungen zwischen Pärchen auf dem Aachener Weihnachtsmarkt beobachtet und erste Muster abgeleitet.

Um diese Muster im 1D-Arbitrierungsraum zu evaluieren, wurde zunächst ein USB-Arbitrierungsdemonstrator aufgebaut. Dieser simulierte eine Verhandlung zwischen Mensch und PC beim Herausziehen eines USB-Sticks und bediente haptische, akustische und visuelle Interaktionskanäle. Aufbauend darauf wurde eine arbitrierungsfähige Automations- sowie eine Interaktions-Mediationssoftware entwickelt, um in einem weiteren Experiment die 2D-Arbitrierung im Bereich der kooperativen Fahrzeugführung zu evaluieren. In diesem zweiten Experiment haben Partizipantinnen und Partizipanten über Manöver- sowie Kontrollverteilung im teilautomatisierten Fahrzeug arbitriert. In Expertengesprächen und -workshops wurde der Fortschritt des Projekts abschnittsweise präsentiert und diskutiert.

 

Ergebnisse

 
  Ressourcen, OY-Schaubild, Interaktionskanäle (siehe Bildunterschrift) Urheberrecht: © IAW Strukturierung des Gestaltungsraumes für die Interaktion (links, modifiziert nach Wickens et al. 2008, siehe auch Flemisch et al. 2014 und 2020) sowie das Interaktionsdesign (rechts, modifiziert nach Löper et al. 2008)  

Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Projekt sind die entwickelten Arbitrierungsmuster sowie weiterentwickelte Methoden zur Erstellung und Dokumentation von Interaktions- und Kooperationsmustern. Weiterhin sind die entwickelten Softwarebausteine in den Aufbau eines Demonstrators für kooperative Fahrzeugführung als Basis für weitere aufbauende Projekte eingeflossen. Die Studienergebnisse zu Experimenten mit 1D- und 2D-Demonstratoren zeigen eine höhere Akzeptanz gegenüber herkömmlichen, nicht arbitrierungsfähigen Systemen. Durch Veröffentlichungen und zwei Experten-Workshops wurden die Projektergebnisse mit der Fachgemeinschaft geteilt und diskutiert.

   

Förderung

Das Projekt wurde gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

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